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LernBrücken: Mit Kunst Brücken bauen
Erstellt
Thema CoronaSchulsozialarbeit
von Barbara Brecht-Hadraschek
Schlendert man aktuell durch die Flure der Wedding-Grundschule, öffnet sich eine Galerie voll bunter Kunstwerke: Pop-up-Karten, Mund-Nase-Masken-Collagen, 3D-Zukunftsvisionen und Fernrohre mit Lichtblicken. Die Werke sind im Zuge des Programms LernBrücken der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung an der Wedding-Grundschule entstanden: Nach den Sommerferien hatten zwei Künstlerinnen mit über 260 Schüler*innen in vielen kleinen Projektgruppen zusammengearbeitet. Mehrere Tage entwickelten die Schüler*innen gemeinsam Zukunftsvisionen für sich, verarbeiteten die Zeit des Lockdowns und lernten, mit unterschiedlichen Materialien und Themen Kunst zu machen.
Das Programm LernBrücken richtet sich während der Corona-Pandemie an Berliner Kinder und Jugendliche, die in Risikolagen aufwachsen und die beim Lernen zu Hause nur wenig Unterstützung erhalten. Mit dem Programm sollen die Lücken durch die Schulschließungen kompensiert werden. An der Wedding-Grundschule war schnell klar, dass der Schwerpunkt auf der kulturellen Bildung liegen sollte, die monatelang brachlag.
„Wir sind auf dem Weg das kulturelle Profil der Schule zu stabilisieren und etablieren. Als die Schule wieder geöffnet wurde, gab es zwar drei Stunden Unterricht in den Kernfächern Deutsch, Mathe und Englisch. Aber Kunst und Kultur sind natürlich hinten heruntergefallen. Deshalb wollten wir mit den LernBrücken in eine andere Richtung gehen und die Kulturelle Bildung nachholen“, erklärt Mechthild Vanassche, Schulsozialarbeiterin der tandem BTL und eine der Kulturbeauftragten an der Schule.
Gemeinsames Konzept mit den Kulturagenten für kreative Schulen Berlin
Von Anfang an mit an Bord war Anne Krause, die für das Programm Kulturagenten für kreative Schulen Berlin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung in Schulen spannende Kunstprojekte mit entwickelt. „Wir arbeiten an der Wedding-Grundschule schon lange Hand in Hand miteinander. Als das LernBrücken-Programm während der Schulschließungen im Frühjahr an den Start ging, konnten wir uns deshalb schnell zusammensetzen und unsere Ideen austauschen“ erzählt die Kulturagentin. „In den Bildungsangeboten geht es um das Aufholen von Lernrückständen. Wir haben uns diese gemeinsam mit Schule und Träger mit dem Mittel der kulturellen Bildung angeschaut.“
Koppelung von sozialen und kulturellen Themen
„Dabei haben wir mit zwei Künstlerinnen zusammengearbeitet, die wir schon gut kennen: Anna Falkenstein und Halina Kratochwil. Uns war die die Koppelung zwischen sozialen Themen und Kultur sehr wichtig – und mit den beiden Künstlerinnen konnten wir hieran gut anknüpfen“, berichtet Mechthild Vanassche. Anne Krause ergänzt: „Gemeinsam mit den Künstlerinnen und den Klassenleitungen haben wir überlegt, wie wir die Lernrückstände, aber auch die emotional-soziale Auseinandersetzung mit Corona angehen: Was ist da eigentlich passiert? Wie ging es mir da? Und wie geht es mir jetzt? Wie finden wir künstlerische Formen sowohl für die Fachinhalte als für eine Reflexion der allgemeinen Situation? Das waren die zwei Schwerpunkte, die wir uns mit den LernBrücken gesetzt haben.“
Projektstart nach den Sommerferien
Schnell fanden sich im neuen Schuljahr 12 Klassen aus allen Jahrgangsstufen, die bei diesen besonderen Kunstprojekttagen beteiligt sein wollten. Rund die Hälfte der Schüler*innen an der Wedding-Grundschule profitierte von dem Projekt. Damit die Projekte unter Corona-Hygienebedingungen stattfinden konnten, hatte die Schule den Künstlerinnen zwei separate Räume zur Verfügung gestellt, in denen die jeweiligen Gruppen arbeiten konnten: Die wegen Corona ungenutzte Schulküche und ein Arbeitsraum wurden kurzerhand für die Zeit des Projektes umfunktioniert. Zusätzlich hatten die Künstlerinnen die Klassen dann gedrittelt oder halbiert. Ein Teil der Kinder arbeitete mit den Künstlerinnen in einem der Projekträume, ein Teil blieb mit den Lehrkräften im Klassenzimmer.
Gemeinsame Entwicklung der Projektthemen
Zwischen den Künstlerinnen und den jeweiligen Lehrer*innen oder Erzieher*innen gab es immer eine enge inhaltliche Absprache. „Wir haben mit den Pädagog*innen Gespräche geführt und genau geschaut, was sie brauchen und wie wir sie in ihrer Arbeit unterstützen können oder was in der Klasse gerade Thema ist,“ erzählt Halina Kratochwil. Halina Kratochwil ist Bühnen- und Kostümbildnerin und arbeitet schon seit vielen Jahren in Kunstprojekten mit Schüler*innen zusammen. Themen der beiden Künstlerinnen für die LernBrücken-Projekte waren dann zum Beispiel: Ich mit Maske – ich ohne Maske, Lichtblicke, die durch ein Fernrohr zu erkennen sind, Wie geht’s nach Corona weiter? Identität: Ich jetzt – ich in 10 Jahren. „Mit den Erstklässler*innen habe ich zum Beispiel auch künstlerisch zum Alphabet gearbeitet. Unsere Projektthemen waren ganz individuell angepasst an die Situation und die Bedürfnisse in den Klassen,“ sagt Anna Falkenstein, die seit über 10 Jahren Kunstprojekte in Schulen in Berlin und im Umland initiiert und durchführt.
Für Brennpunktschulen ein besonderer Gewinn
Halina Kratochwil findet, dass die Schüler*innen an so genannten Brennpunktschulen besonders von solchen Kunstprojekten profitieren: „Ich arbeite auch in einer Schule in Alt-Mitte. Da können die Kinder in der zweiten Klasse schon besser mit Schere und Stift umgehen als viele hier in der sechsten Klasse, weil sie einfach von zu Hause aus einen anderen Background haben. Umso wichtiger ist es, dass die Kinder hier diese Erfahrungen machen können. Ein Junge hatte in einer der Projektgruppen eine Collage von sich selbst gemacht und war völlig begeistert vom Ergebnis, weil er offensichtlich im regulären Kunstunterricht permanent scheitert. Der Stift ist einfach nicht sein Medium, aber mit der Schere ist er total geschickt und auch mit dem Klebstoff konnte er sehr gut umgehen. So hielt er etwas völlig Neues in den Händen, von ihm selbst erschaffen – und war hin und weg von sich und der Welt. Das sind Erfahrungen, die man hier viel mehr macht als an anderen Schulen. Ein Kind meinte zu mir vorhin, ich finde das so toll, dass ich jetzt gelernt habe, wie 3D geht.“
„Die Kinder spüren auch den Unterschied. Wir sind keine Lehrkräfte, die nachher Noten geben müssen. Wir kommen unvoreingenommen in den Raum, lernen die Kinder neu kennen. Und im Gegensatz zum normalen Kunstunterricht haben wir hier auch nicht nur eine Doppelstunde, nach der jeder Tisch wieder bereit stehen muss für den nächsten Unterricht. In den Kunsträumen haben die Kinder wirklich Zeit und Raum für ihr eigenes Projekt“, ergänzt Anna Falkenstein.
„Das LernBrücken-Programm hat an unserer Schule die Schulschwerpunkte Soziale Themen und kulturelle Bildung ein gutes Stück vorangebracht,“ resümiert Mechthild Vanassche. Beides soll jetzt offiziell im Schulprofil aufgenommen werden.
Die Künstlerinnen haben mit den Kindern zusammen einige Slowmotionfilme gedreht. Hier ist ein kleiner Eindruck der Arbeiten:
Hintergrundinfos
Kunst und Kultur eröffnen neue Blickwinkel – auf die Welt und auf uns selbst.
Das Programm Kulturagenten für kreative Schulen in Berlin möchte Schüler*innen neugierig auf Kunst und Kultur machen und ihre aktive Teilhabe an künstlerischen Prozessen fördern. In den letzten Jahren hat sich das Programm als wichtiger Baustein etabliert, um die praktische Umsetzung und Verankerung kultureller Bildung in der Berliner Schulpraxis zu befördern und im Feld der Kulturellen Bildung und insbesondere der kulturellen Schulentwicklung zur Qualitätssicherung beizutragen.
https://kulturagenten-berlin.de/
Das Programm LernBrücken richtet sich in der besonderen Zeit der kompletten und teilweisen Schulschließungen während der Corona-Pandemie an Berliner Kinder und Jugendliche, die in Risikolagen aufwachsen und die zu Hause beim Lernen nur wenig Unterstützung erhalten. LernBrücken ist ein Programm der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, gefördert durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie des Landes Berlin. Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung agiert als Regiestelle und Programmagentur.
https://www.dkjs.de/lernbruecken/
Die Schulsozialarbeit an der Wedding-Grundschule
Das Team der Schulsozialarbeit bietet umfassende sozialpädagogische Unterstützung, Beratung und Förderung für Schüler*innen, Eltern, Lehrkräfte und Erzieher*innen an.
https://www.tandembtl.de/sbs-wedding-grundschule.html
Über die Künstlerinnen des Projekts
Anna-Dorothea Falkenstein
studierte Kunst und Fotografie in Monaco und Strasbourg/Frankreich (Master). Seit 2008 lebt sie mit ihrer Familie in Berlin-Wedding und hat dort ihr Atelier. Diverse Kunstprojekte für Kinder, Jugendliche und Erwachsene initiierte sie bis 2005 in „Brennpunktvierteln“ in und um Marseille und seit 2010 bis heute an Grund- und weiterführenden Schulen im Wedding sowie regelmäßig an unterschiedlichen Gymnasien im Berliner Umland. (Von 2013-2015 „WIR IM QUARTIER“, Website: www.kulturermittler.de)
Instagram: @falkensteinanna und @falkenstein_anna
Halina Kratochwil
ist freiberufliche Bühnen- und Kostümbildnerin und führt inzwischen auch gelegentlich bei eigenen Produktionen Regie. Neben ihrer Arbeit an unterschiedlichen Staats- und Stadttheatern und Theatern der freien Szene leitet sie seit über 10 Jahren Kunstprojekte für Kinder an Schulen an. In diesen Projekten arbeitet sie zu sozialen und Unterrichtsthemen und schafft so einen künstlerischen Zugang zu diesen. Durch verschiedene Techniken wie Zeichnen und Malen, Collagen mit unterschiedlichsten Materialien und dem Bauen von Objekten erleben die Kinder wie vielfältig künstlerischer Ausdruck sein kann und das nicht nur wer „gut zeichnen“ kann in der Lage ist, eine künstlerische Arbeit zu erschaffen.
Kinder der Wedding-Grundschule zeigen ihre Werke
(Galeriefotos von Anna Falkenstein und Halina Kratochwil, weitere Fotos: Margarete Caspari)
1 Kommentare
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Ein tolles, kreatives Projeket, dass hoffentlich, wenn die Schulen wieder geöffnet sind, weiter fortgeführt wird. In dieser Weise Kunst mit Kindern zu gestalten, schafft neue Räume. Ein inspirierender Beitrag!
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